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Bleiben und Jubeln
Predigttext zum 3. Mai 2020 Jubilate:
Johannes 15, 1–8
Bleibt in mir und ich in euch. Johannes 15,4
„Bleibt in mir und ich in euch.“ Bleiben ist das am häufigsten gebrauchte Verb in diesen Tagen: Bleiben Sie zu Hause! Bleiben Sie gesund! Bleiben Sie behütet! Wo man sonst schlicht „Tschüss“ sagt, sagt man jetzt „Schön gesund bleiben!“ Dieses Bleiben suggeriert auch ein Stück Wahrnehmung und Wertschätzung dessen, was man hat: Gesundheit. Und das soll auch so bleiben. Plötzlich bekommt die Zukunft etwas Düsteres.
Eigentlich hat „bleiben“ ja keinen guten Klang. Es klingt statisch und nach Zurückbleiben. Was wäre das Gegenteil von Bleiben? Im Kontext von Corona und Gesundbleiben das Krankwerden, nicht gut. Oder allgemein das Aufbrechen? Aber dann nur als Gegenteil zum Zurückbleiben, auch nicht gut. Oder das Wegbleiben? Ich denke zurück an 1989: Als die Menschen damals aus den Kirchen kamen und friedlich skandierten: „Wir bleiben hier“, da war mit bleiben nichts Regressives oder Statisches gemeint, sondern ein aktives und verantwortungsvolles Bleiben, das durchaus auch politische Veränderungen bewirkte.
Unter den Forschern ist umstritten, worauf der johanneische Jesus mit seinem Bleibeappell hinaus will. Meint er Judas, den Verräter? Richtet er sich gegen solche, die mit der Rückkehr zur Synagoge liebäugelten? Oder wendet er sich an abtrünnige Christinnen und Christen, die unter der Ausgrenzung der urchristlichen Gemeinde litten? Viel spricht für Letzteres. Heute sind wir als Kirche keiner Verfolgung ausgesetzt. Aber wir bewegen uns auf eine Minderheitskirche zu.
Klar ist, dass die Kirche nicht so bleiben kann, wie sie ist. Aber die Kirche Jesu Christi wäre nicht 2000 Jahre alt geworden, wenn sie sich nicht ständig verändert hätte. Vor allem aber wäre sie nicht 2000 Jahre alt geworden, wenn sie nicht bei Christus geblieben und immer wieder zu ihm und zu seinem Wort zurückgekehrt wäre. Diesem Bleiben ist Zukunft verheißen. Christus bindet sich an seine Jüngerinnen und Jünger, doch solche wären sie nicht ohne ihn, ohne sein Leben- und Heil schaffendes Wort. Es kann wohl eine Kirche geben ohne Kirchensteuer, Kirchenbeamte, auch ohne Kirchengebäude, aber nicht ohne Christus, das Wort Gottes. Als ich ab 1987 am Sprachenkonvikt in Ostberlin studierte, stand die Schinkelsche Elisabethkirche an der Invalidenstraße noch als Kriegsruine da. Doch allem Verfall und Staatsatheismus zum Trotz prangte am Giebel gut lesbar die Inschrift DES HERRN WORT BLEIBET IN EWIGKEIT. Nach dem Johannesevangelium ist Jesus Christus dieses ewige Wort Gottes.
In Christus bleiben, bei seinem Wort bleiben. Darum geht es. Und mehr Frucht bringen. Eine Frucht, die der christliche Glaube hervorgebracht hat, und an der sich auch Nichtgläubige erfreuen, ist die Kirchenmusik. Der Sonntag Jubilate fordert zum Jubilieren auf: Man lese nur Psalm 150. Und man höre den Jubelgesang des diesjährigen Jubilars: Schillers „Ode an die Freude“ in der Vertonung Ludwig van Beethovens. Übrigens hat Beethoven nicht nur 9 Symphonien geschrieben, sondern auch Kirchenlieder. So hat er etwa Gedichte des berühmten Autors Christian Fürchtegott Gellert vertont. In dem bekanntesten stimmt der Komponist in den Jubel der Schöpfung ein: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre, ihr Schall pflanzt seinen Namen fort. Ihn rühmet der Erdkreis, preisen die Meere, vernimm, o Mensch, ihr göttliches Wort.“
Bernhard Schmidt, Pfarrer und Vorsitzender der Kollektiven Leitung des Kirchenkreises Falkensee

Tausend Weisen
Predigttext zum 10. Mai 2020 Kantate:
2. Chronik 5, 2-5 (6–11) 12–14
Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Korinther 15,16
Der christliche Glaube ist recht eigentlich eine nur eben schwer zu denkende Angelegenheit. Geglaubt werden soll, dass vor zweitausend Jahren in Jerusalem ein Jude in der fürchterlichsten Weise einer Kreuzigung ermordet worden ist und dass er zwei Tage danach von Gott „auferweckt“ wurde. Und noch Schwierigeres soll gedacht werden: dass nämlich in dieser „Auferweckung“ die „Auferweckung“ aller Toten, ja die Neuerschaffung von Himmel und Erde begonnen hat.
Paulus sagt: Wenn diese Welt und Zeit und alle Toten umspannende „Auferweckung“ nicht geschieht, ist der gekreuzigte Christus nicht lebendig, und der christliche Glaube wäre Irrsinn und Lüge.
„Auferweckung“ bedeutet nicht, dass der Tod rückgängig gemacht wird, sondern dass am Ende aller Möglichkeiten Gott selbst handelt. ER handelt an dem toten Jesus, indem er ihn „auferweckt“. „Auferweckung der Toten“ ist nach jüdisch-christlichem Verständnis eine besondere Form des Handelns des Gottes Israels, in welchem ER einem Gestorbenen sein völlig verwandeltes Leben wiedergibt als ein ewiges Leben und es hineinstellt in seine, für uns noch unsichtbare Welt.
Für diese aus menschlicher Sicht so schwer zu erachtenden Annahmen gibt es als Beglaubigungen nur – aber was heißt hier „nur“? – drei Hinweise: (1) auf die Geistkraft Gottes, in welcher der Glaube eines Menschen geschaffen wird, (2) auf die Beteuerungen einiger Anhänger*innen des Jesus von Nazareth, sie hätten ihn als Auferweckten direkt und unübersehbar wahrgenommen und (3) auf das Zeichen eines leeren Grabes in Jerusalem. Durch die Jahrhunderte hindurch sagen Christinnen und Christen, die Annahmen seien ihnen zu Überzeugungen geworden, sie hätten die Wirkmächtigkeit des Heiligen Geistes erfahren und es daraufhin gewagt, sich im Leben und im Sterben auf den Auferweckten zu verlassen.
Wie aber lässt sich eine schon mit der Auferweckung des Gekreuzigten begonnene „Auferweckung aller Toten“ vorstellen? Sie geschieht nicht am Sankt-Nimmerleinstag eines in unendliche Ferne gerückten „Jüngsten Tages“. Sondern der „Jüngste Tag“ ist für uns der Tag unseres Sterbens. „Heute wirst du mit mir im Paradiese (in der unsichtbaren Welt des Gottes Israels) „sein“ (Lukas 23,37). Das sagt der gekreuzigte Jesus in der Vollmacht Gottes einem mit ihm gekreuzigten Verbrecher an seiner Seite auf dem Hügel Golgatha. „Heute“, „gleich“, „binnen kurzem“, „von einem Moment zum anderen“ – im Tod – wirst du auferweckt und in das Licht des Ewigen gestellt.
Wir sind sterblich, aber wo der Tod, Ernst Bloch nennt ihn den großen „Nihilisten“, alle Beziehungen abbricht, laufen wir nicht ins Nichts, sondern werden von Gott aufgefangen und neu „konstituiert“ – das heißt „ins Leben gerufen“. Das ist unsere Auferweckung. Das erkenne ich und darauf vertraue ich – das heißt: ich glaube es.
Rolf Wischnath, Generalsuperintendent a.D., Gütersloh
Foto: Rafael Párraga/Pixabay
Gott, herzbewegend
Predigttext zum 24. Mai 2020 Exaudi:
Jeremia 31,31–34:
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.
Jeremia 31,31.33–34
Ein alter Rabbi hatte Sehnsucht nach dem Paradies. Er flehte zu den himmlischen Mächten, einmal möchten sie ihm die Pforten öffnen. Es geschah: Er durfte ins Paradies treten. Er öffnete die Augen und sah einen Studiersaal und viele, viele Menschen lasen, blätterten von Buch zu Buch, sprachen leise. „Das Paradies? “, fragte er. „Ja“, sagten die Engel mit Blick auf die Lernenden, „Sie sind nicht im Paradies, das Paradies ist in ihnen.“
Ach, Jeremia, da hat ihn eine jüdische Erzählung verstanden – und ihm fiel es so schwer, er hatte sich so gesträubt, Gottes Mundbote zu werden. „Ach Herr, ich tauge nicht zum Propheten, ich bin zu jung!“ (Jeremia 1,6), widersprach er. Er war zaghaft, er zweifelte, widerstrebend rief er aus: „Verflucht der Tag, an dem meine Mutter mich gebar!“ (Jeremia 20,14) Unerträglich isoliert klagte er: „Ist denn keine Salbe in Gilead oder ist kein Arzt da?“ (Jeremia 8,22). Der Abfall des Volkes und des Königs vom Bund mit Gott ist unheilbar, die babylonische Macht wird das Reich Juda verwüsten, mit Jerusalem samt Tempel! Jeremia, Gottes Mundbote in böser Zeit: Das Recht des Menschen auf Klage, hat ein Schriftgelehrter gesagt, lernen wir bei Jeremia. Ist er die biblische Stimme, der wir uns am nächsten fühlen? Die Psalmen, Hiob und Jeremia wissen, was Klagen heißt, was aussteht, was wir vermissen. Und: Über der Klage vergessen sie nicht Gott – das macht sie selber unvergesslich.
Klage kann Entspannung gewähren, lässt wieder zu Atem kommen, hilft die Augen zu öffnen. So sieht Jeremia Neues. Er bringt ein neues Bild hervor: „Der neue Bund.“ Gott will dem Volk eine andere Verfassung des Lebens geben, er will das Lebensgefühl des Volkes, seine Weltsicht von Grund auf ändern. Warum? Weil das Volk den Bund gebrochen hat, obwohl Gott sein Herr war.
Jeremia stellt den „Neuen Bund“ vor: „Meine Weisung lege ich in ihr Inneres, auf ihr Herz werde ich sie schreiben. Da wird niemand seinen Nächsten und niemand seinen Bruder lehren und sagen: Erkennt den Herrn! Sondern vom Kleinsten bis zum Größten werden sie mich alle erkennen!“ Ein Bund, der immer wieder gelehrt werden muss, kann nicht beständig sein. Was Gott nun aber tun will, ist herzbewegend. Wir werden seine Herzensangelegenheit. Auf den Wänden des Herzens steht sein Bund – er wird ohne Lehre auskommen. Gott ist herzbewegend. Und wir? Jeremia sagt Gottes Weisung: „Sie werden mich erkennen von Klein bis Groß, ist der Spruch des Ewigen; denn ich werde vergeben ihre Missetat, und ihrer Sünde nicht ferner gedenken!“ Jeremia 31,34.
Wir werden „von Herzen“ vergeben können, wenn wir erfahren, dass Gott vergibt. Er rückt ab von seinem Grimm, seiner Verstörung und bewährt sich neu als Wind des Geistes, als Schöpfermacht. Man möchte sagen: Gott hat sich selbst erneuert, er vergibt und bringt die Menschen zur Vergebung zusammen, zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Er lässt zu Pfingsten die Herzen sprechen. Jeder bleibt bei seiner Sprache und doch versteht jeder jeden. So werden sie „ein Herz und eine Seele“. Die Menschen gewinnen nicht den Geist, der Geist gewinnt sie; sie sind nicht im Paradies, das Paradies ist in ihnen. Groß ist die Gabe des Bundes!
Helmut Ruppel (Foto) und Lorenz Wilkens, Pfarrer, Berlin
Erleuchtende Kraft
Predigttext zum 31. Mai 2020 Pfingsten:
Apostelgeschichte 2,1–21
Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie laufen und nicht matt werden. Dass sie wandeln und nicht müde werden.
Jesaja 40,26
„Pfingsten sind die Geschenke am geringsten, während Geburtstag, Ostern und Weihnachten etwas einbrachten“, dichtete Bertolt Brecht in seinem Alphabet unter dem Buchstaben P. Wie unrecht er doch hatte. Im Gegenteil! Zu Pfingsten wurde uns das größte Geschenk gemacht: der Heilige Geist. Doch der Reihe nach.
In einer Konfirmandenstunde fragte ein Konfirmand, wieso sich die Jünger am Pfingsttag versammeln konnten, denn Pfingsten gab es doch noch gar nicht, das ist ein christliches Fest. Er hatte aufmerksam den Bibeltext gelesen. Unser deutsches Wort Pfingsten leitet sich vom griechischen Pentekoste, der Zahl 50, ab. Das ist das jüdische Wochenfest Schawuot, das 50 Tage nach dem Passahfest gefeiert wird. Es ist ein Erntefest und erinnert gleichzeitig an die Gabe der Thora, die Gabe des Gesetzes.
In der gleichen Stunde meinte ein Witzbold beim Betrachten eines mittelalterlichen Gemäldes: „Die haben ja alle Teelichter uffm Kopp.“ Ein anderer erwiderte: „Denen ist ein Licht aufgegangen, was bei dir nie passiert.“ In der Tat, die Jünger wurden erleuchtet, es rauchten ihnen die Köpfe, sie hatten einen Geistesblitz – so könnte man den biblischen Bericht des Lukas auch überschreiben. Etwas Gewaltiges geschieht. Den Jüngern wächst eine Kraft zu, die sie in die Lage versetzt, auf die Straße zu gehen und den beim Fest Anwesenden Gottes große Taten zu verkündigen. Und nicht nur das: Jeder kann sie in seiner Sprache verstehen – das Pfingstwunder.
Gottes Geist wird auf alles Fleisch ausgegossen und ohne dieses Geschenk wäre die Geschichte von Jesus von Nazareth sicher schnell zu Ende gegangen. Dieser Geist ist es, der Menschen bis heute führt und leitet und befähigt, Werke des Glaubens zu vollbringen. Dieser Geist tröstet aber auch, er ist der größte Tröster. Und gerade jetzt ist das nötiger denn je.
Diese Zeilen, mitten in der Corona-Krise geschrieben, sind von der Hoffnung getragen, dass der Geist Gottes uns zu allen Zeiten trägt, dass wir uns zu Pfingsten wieder gemeinsam zum Gottesdienst versammeln und singen können: „Komm Heiliger Geist mit deiner Kraft, die uns verbindet und Leben schafft.“
Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche. Geburtstage bringen immer etwas ein, Geschenke natürlich. Wir alle sind die Beschenkten, es gibt zwar keine Torte im Gottesdienst (Warum eigentlich nicht?), es gibt auch keine Schokoladenhohlkörper wie zu Weihnachten oder Ostern, aber es gibt etwas viel Größeres: Gottes unsichtbare, erleuchtende Lebenskraft.
Waldemar Natke, Pfarrer im Ruhestand, Cottbus
Leider ist Pfarrer Natke im April 2020 ganz plötzlich verstorben! Das erfuhr die Redaktion der Frohen Botschaft erst kürzlich. Wir trauern mit der Familie um ihn. Er war ein äußerst zuverlässiger Autor und immer bereit, eine Predigt oder einen anderen Text zu übernehmen.