
Monatsspruch November 2022
„Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“ Jesaja 5,20 (L)
Vieles hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Nichts ist mehr wie es war. Wie auch bei Jesaja erleben wir, dass Werte auf den Kopf gestellt werden. Was unsere Eltern uns als wertvoll mit auf den Lebensweg gaben, zählt heute nicht mehr. Die Alten werden belächelt, nach dem Motto: „Ihr versteht die Welt nicht mehr.“ Nur noch materielle Werte zählen, dabei ist es doch unsere Seele, die Halt und Stütze braucht. Beides finden wir einzig bei Gott, wie es auch Jesaja schon längst erkannt hatte. Er musste den Verfall seines Volkes mit ansehen und konnte nichts tun als beten. Wer hörte denn noch auf ihn?
Leider sehen auch wir zunehmend, dass nicht Gottes Wort im Vordergrund steht, sondern das „Mit der Zeit gehen“. Gottes Wort, das uns Richtschnur und Halt sein sollte, wird als Geschichtenbuch abgetan. So nach dem Motto: „Ihr müsst nicht alles so ernst nehmen. Wir sind doch nicht mehr von gestern.“
„Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen!“, lesen wir bei Jesaja. Sind wir nicht auf dem besten Wege, diese Worte zu übernehmen und die Dinge zu verkehren, anstatt uns von ihnen aufrütteln zu lassen und Gottes Wort als das zu nehmen, was es ist: Richtschnur und Leitsatz für unser Leben. Wenn nicht aus eigener Kraft, dann doch mit Gottes Hilfe.
Christina Telker, Bernau

Gottes Reich braucht Raum
Predigttext zum 6. November 2022
Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres: Lukas 17,20–24(25–30)
Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Lukas 17,20+21
Gottes Reich ist kein Ort. Darin irren die Imperatoren und die ihnen nachlaufen. Durch gewaltsame Aneignung, durch Grenzverschiebungen und Geländegewinne ist kein Reich zu machen. Jedenfalls keines, das von Dauer ist.
Mich langweilen diese nicht enden wollenden Versuche, letztlich austauschbare Symbole von Macht und Größe zu errichten. Nichts Neues unter der Sonne. Sichtbare Zeichen von Herrschaft und Wohlstand landen früher oder später als Fragmente in Museen. Sie deprimieren, weil sie Vergeblichkeit und Vergänglichkeit vor Augen führen. Menschliches Machwerk ist nichts Bleibendes.
Beim Singen des Abendlieds von Karl Albrecht Höppl (Evangelisches Gesangbuch Nr. 490) breitet sich in mir eine tiefempfundene Genugtuung aus: Erdenreiche mögen fallen, Gottes Reich, das steht in Ewigkeit. Eine Genugtuung und eine Sehnsucht spüre ich gleichermaßen. Sehnsucht nach dem Ende irrsinniger Kriege. In Träumen schon jetzt ausgemalt. Unbeschwertes Schlendern auf den Magistralen von Kiew, Theaterbesuch in Mariupol, erschwingliche Getreidepreise für alle und alle … sind am Leben. Wann endlich?
Wann kommt das Reich Gottes? Eine (über-) lebenswichtige Frage. Sie zielt auf eine künftige Zeitenwende. Einen Umkehrpunkt, der mehr verändert als die Paradigmenwechsel dieser Tage: im Konsumverhalten – wir müssen sparen, im Wirtschaften – wir brauchen Stabilität, in der Militärstrategie – wir brauchen mehr Wehrhaftigkeit.
Nichts von all dem spielt eine Rolle, wenn Jesus das Reich Gottes mit nachvollziehbaren Alltagsbildern vergleicht. Erstaunlich und herausfordernd zugleich ist es, dass ein unscheinbares Samenkorn (Matthäus 13), ein gutes Wort, Veränderung und Ewigkeit schafft. Es muss nur ausgesät, muss ausgesprochen und getan werden.
Das Reich Gottes ist kein Ort. Es ist ein Ereignis. Es ereignet sich unter Menschen, ausnahmslos. Gottes Reich ist kein Ort aber es braucht Raum, es sucht seinen Platz in der Herberge, in Dörfern und Städten, ganz gleich welche Fahnen über ihnen wehen. Und noch eines. Das Himmelreich kommt nicht ohne Geschichten aus, gute Geschichten von einer Zukunft, in der die Saat aufgeht. Schon jetzt kann jede und jeder ein Teil davon werden. Lege das Samenkorn in aller Ungewissheit aber voller Hoffnung in den Boden. Und sieh!
Pfarrer Matthias Puppe, Koordinator in der Arbeit mit ukrainischen Geflüchteten, Berliner Missionswerk

Foto: pixabay
Gott in den Ohren liegen
Predigttext zum 13. November 2022,
Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres: Lukas 18,1–8
Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
Lukas 18,3–5
Schon ganz mit seinem Abschied beschäftigt, verdichtet Jesus im Evangelium des Lukas das, was ihm wichtig ist. Ein Gleichnis, eine Geschichte folgt der anderen. Auch diese – merkwürdige.
Das kann man sich doch schlicht nicht vorstellen, dass da ein Mann, der sich vor nichts und niemandem fürchtet, ein Richter, der letztgültige Urteile fällt, dass der plötzlich Angst haben sollte vor einer Witwe, weil diese ihm ins Gesicht schlagen könnte?
Ich kenne hingegen Tausende Geschichten von Frauen, die Angst haben. Überall auf der Welt. Irgendein Grund findet sich immer, warum man sie schlägt, verstümmelt, erniedrigt, vergewaltigt, entrechtet. Das macht mich fassungslos, traurig, wütend. Es gibt gar nicht so viele Donnerstage wie ich schwarz tragen müsste. Bei „Thursday in black“ wollen Menschen auf diese Gewalt hinweisen, indem sie jeden Donnerstag ganz in Schwarz gehen.
Gott im Himmel, der Du Menschen in Vielfalt erschaffen hast, mach der Gewalt ein Ende! Um Deiner Gerechtigkeit willen!
Beeindruckt bin ich von dieser Witwe, einer Frau, die ganz allein dasteht und für ihr Recht kämpft. Woher nimmt sie die Kraft, wo doch Abschiede so zehren und einen ganz wackelig machen? Ich bewundere sie für ihren Mut, wie ich die Frauen im Iran bewundere, die „Frauen. Leben. Freiheit.“ rufen und sich den Schleier vom Kopf reißen, obwohl ihnen massive Gewalt droht.
Der Richter in der Geschichte weigert sich zu tun, was seine Aufgabe ist, nämlich Recht zu sprechen und der Gerechtigkeit zur Durchsetzung zu verhelfen. Ihn mit Gott zu vergleichen, macht mir Mühe. Aber bei Lukas erzählt Jesus auch andere befremdliche Geschichten, zum Beispiel die von einem Vater, der seinem Sohn, wenn er um einen Fisch bittet, eine Schlange gibt. Unmöglich! Genau, sagt Jesus, wenn ihr das schon unmöglich findet, und niemals so handeln würdet, um wie viel mehr dann Gott! Wenn sich schon ein unfassbar hartleibiger Richter erweichen lässt, um wieviel mehr dann Gott!
So fasst Jesus in der Erzählung des Evangelisten Lukas noch einmal zusammen, was er seinen Lieben zum Beten erzählt hat: „Bittet, so wird euch gegeben; Suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird Euch geöffnet. Denn alle, die bitten, werden bekommen; und die suchen, werden finden; die anklopfen, denen wird geöffnet.“
Machen wir Ernst damit. Hören wir nicht auf Gott in den Ohren zu liegen mit unseren Gebeten für ein Ende aller Gewalt. Gott im Himmel, der Du Menschen in Vielfalt erschaffen hast, mach der Gewalt ein Ende! Um Deiner Gerechtigkeit willen!
Oberkirchenrätin Sabine Habighorst, Berlin

Wachen und Beten
Predigttext zum 20. November 2022
Ewigkeitssonntag: Markus 13,28–37
Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.33 Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Markus 13,31–33
Sprachpolizei gab es schon immer. Als junger Pfarrer sprach ich einmal im Pfarrkonvent von „Totensonntag“. Ein gestandener älterer Kollege korrigierte: „Der junge Bruder wollte wohl sagen: Ewigkeitssonntag“. Ich weiß nicht mehr, was ich damals sagen wollte, aber der kommende Sonntag hat zwei Themen oder Propria: Als „Totensonntag“ ist er der Sonntag, an dem – im Lichte von Ostern – der Verstorbenen der letzten zwölf Monate gedacht wird, als Ewigkeitssonntag ist er der Sonntag, an dem vorausgeschaut wird auf das Ende der Welt und auf Gottes Ewigkeit.
Markus 13,28–37 ist der Text für den Ewigkeitssonntag. Lange konnten wir, konnte die Kirche mit solchen Texten nichts anfangen. Noch in einem neueren Kommentar (2012) heißt es fast überheblich: „Heute ist das Ende der Geschichte und das Weltgericht kaum noch vorstellbar.“ Wie sich die Zeiten ändern! Fast muss man sagen, angesichts von Krieg, Klimakatastrophe, Pandemie und Teuerung haben wir die apokalyptischen Reiter (Offenbarung 6) und die Ballung der Katastrophenszenarien nie so gut verstanden wie heute! Das Ende der Welt ist wieder möglich geworden. Gut, dass sich in der Christentumsgeschichte die nicht durchgesetzt haben, die – zu ihrer Zeit – unverständliche Bücher und Texte aus der Bibel einfach herausschneiden wollten. Andererseits, was helfen uns Texte wie Markus 13? Machen sie die Furcht nicht noch größer? Legitimieren sie unsere Panik und Zukunftsangst? Ich sage: Nein.
Und ich finde drei positive Aspekte in diesem Text: „An dem Feigenbaum aber lernt ein Gleichnis. Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben“ (Vers 28). Ich kann mich trotz der düsteren Zukunftsaussichten am Erwachen der Natur im Frühjahr immer wieder erfreuen. Und an der
„Gnade der Natur“, die ich diesen Spätsommer wieder erlebt habe. Nach monatelanger Hitze und Trockenheit verbrannte Felder und Wiesen überall, dann ein kräftiger Regenguss, und am übernächsten Tag waren die Wiesen wieder grün. Diese Vitalität der Schöpfung hat mich regelrecht beschämt. Und gerade weil wir wissen, dass die Welt endlich ist, sind solche Momente kostbar.
„Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand…, auch nicht der Sohn“ (Vers 32). Dieses Wort hat den Theologen immer Mühe gemacht. Wie kann Jesus so etwas sagen? Wie kann er seine eigene göttliche Autorität so untergraben? Jesus wusste es wirklich nicht, wie auch der Satz davor (Vers 30) beweist: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht.“ So wie es tröstlich ist, dass ich meine Todesstunde nicht kenne, so ist es auch tröstlich, dass wir die Stunde des Weltgerichts nicht kennen, um die verbleibende Zeit sowohl genießen als auch nutzen zu können.
Und so verstehe ich auch das letzte Wort in unserem Text: „Wachet!“ (Vers 37). „Wachet und betet“ hieß auch das letzte Wort Jesu vor seinem Tod, das er zu seinen Jüngern sprach, im Garten Gethsemane. Dieses Wort steht gegen jeden Fatalismus. Wer wacht, kann noch etwas tun. Der
UNO-Generalsekretär hat davor gewarnt, dass wir „schlafwandlerisch“ in die Klimakatastrophe hineinschlittern. Er hat zur Wachsamkeit und zur Tat aufgerufen. Was zu tun ist, wissen wir. Aber vergessen wir auch das andere nicht, das nur wir können, und das wir der Welt schuldig sind: Beten.
Pfarrer Dr. Bernhard Schmidt, Vorsitzender der Kollegialen Leitung des Kirchenkreises Falkensee

Adventliche Klopfzeichen
Predigttext zum 27. November 2022
1. Advent: Offenbarung 3,14–22
Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer Ohren hat, der höre, was er den Gemeinden sagt
Offenbarung 3,20.22
Eine Predigt gelingt, wenn etwas hängen bleibt. Ein Bild, ein Wort, eine Wendung. Der Glaube kommt nicht aus der Predigt, er „kommt aus dem Hören“ (Römerbrief 10,17). Die Predigt macht ihn nicht. Sie legt eine Möglichkeit frei: Es könnte doch möglich sein, dass … Das Bild unseres Textes für den 1. Adventssonntag ist die Tür.
Eine Erfahrung: Eine Pfarrerin macht Hausbesuche. Sie klingelt. Aus der Sprechanlage ruft eine Stimme: „Bist du es, mein Engelchen?“ Sie ist ein wenig verwirrt, antwortet aber schlagfertig: „Nicht direkt, aber von der gleichen Firma!“
Ein Urtraum: Wenn es klopft an der Haustür, an der Wohnungstür, an der Krankenzimmertür – möge es doch es ein Engel sein, der mein Leben mit Liebe erfüllt, mit Freundlichkeit erwärmt und mit Fürsorge bewahrt. Ein Urtraum.
Die Tür ist für uns zu einem Symbol geworden: So wie es offene und verschlossene, einladende und abweisende Türen gibt, so auch Menschen mit einem Herzen, das verschlossen ist wie eine Tür, mag man noch so rütteln und klopfen – es gibt unzugängliche Menschen, Häuser. Auch Gemeinden, auch Kirchen? „Offene Kirche“, ein gesegneter Dienst der Gemeinde, Advent ist bekanntlich immer …
Nun aber 1. Advent mit dem Text: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an!“, Vers 10 aus dem Sendschreiben an die Gemeinde in Laodicea, Offenbarung es Johannes 3, 14-22. Der Inhalt ist wenig erfreulich, „eine Abfuhr sondergleichen“, wie es der Theologe Wolfgang Huber bezeichnete, früher ein Text für den Buß- und Bettag. Die liturgische Farbe für den Advent ist das Violett, Farbe der Umkehr, des Hörens, des Sich-Öffnens, des Bereit-Werdens für den, der an der Tür steht und klopft.
Vor 60 Jahren kam ich als Student nach Berlin und hörte bei Eberhard Jüngel die wunderbare Auslegung von Psalm 24,7–10: „Macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“ (Predigten, 1968), sie begleitet mich bis heute. Sie ist der biblische Zusammenklang zum Sendschreiben-Vers. Wem es möglich ist, möge sie bitte lesen oder bei mir anfordern!
Ihm ging es um das Brandenburger Tor und das Jerusalemer Mandelbaumtor! Und um das Tor zu uns selbst. „Advent ist Wartezeit … Wartezeit derer, die auf den Herrn harren. Doch der Advent ist vor allem Wartezeit Gottes, der einziehen will und darauf wartet, dass ihm die Tore und Türen in unserer Welt von innen, von uns geöffnet werden. Wenn aber unseres Herzens Tür für Gott offen ist, dann können unsere Haustüren, dann können auch die Tresore ihm nicht verschlossen bleiben. Gott wartet nicht gern umsonst, deshalb: „Macht die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“
Helmut Ruppel, Pfarrer und Studienleiter im Ruhestand, Berlin