
Monatsspruch August 2022
„Jubeln sollen die Bäume des Waldes vor dem HERRN, denn er kommt, um die Erde zu richten.“
1. Chronik 16,33 (E)
Große freudige Ereignisse sollten immer mit Jubel verbunden sein. Das große Ereignis, auf das der Monatsspruch uns weist, ist der Einzug der Bundeslade nach Jerusalem. König David ist die Rückkehr der Lade zu verdanken. Das Erste Buch der Chronik setzt ein Danklied Davids in diesen Zusammenhang. Jubeln sollen nicht nur die Menschen zur Ehre Gottes, die ganze Schöpfung wird miteinbezogen in den großen Lobpreis: Das Meer brause, das Feld sei fröhlich und die Bäume sollen jauchzen.
Ein wenig neidisch höre ich diese Worte. Wir haben es ja nicht so mit dem Jubeln. Das höchste Berliner Lob heißt bekanntlich „Da kann man nicht meckern!“ Auch sprühen unsere Gottesdienste nicht gerade vor Freude. Wenn wir die schönen Loblieder singen, dann meist verhalten. Ganz anders Davids Danklied. Es heißt sogar, der König habe getanzt, als er die Lade nach langer Zeit ihres Aufenthaltes im Feindesland endlich nach Jerusalem bringen konnte.
Warum tun wir uns so schwer, unsere Freude über Gott zum Ausdruck zu bringen? Ich weiß es nicht, aber ich wünschte es mir anders. Gottesdienste mit einer Freude zu feiern, dass sich die Balken biegen, die Wände wackeln und der Boden bebt, möchte ich einmal erleben. Denn dass wir einen Gott haben, der uns liebt, der uns durchs Leben trägt und jeden Tag aufs Neue beschenkt, das sollte doch allemal ein Anlass zum Jubel sein. So wie einst die Bundeslade nach Jerusalem einkehrte, so kehrt jeden Tag bei uns die Freude über Gott ein. Darum lasst uns jubeln und fröhlich sein.
Pfarrer Thilo Haak, Berlin

Der letzte Groschen
Predigttext zum 7. August 2022
8. Sonntag nach Trinitatis:
Markus 12,41–44
Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Markus 12,43+44
War das klug? Wie konnte sie nur? Die Hälfte hätte doch auch gereicht! Nein, es musste der gesamte Inhalt ihrer Geldbörse sein. Wovon will sie nun alles Lebensnotwendige bezahlen?
In Deutschland zählen über dreizehn Millionen Alleinstehende zu den Einkommensarmen. Die Pandemie, die Inflation, der Krieg in der Ukraine sorgen dafür, dass sie sowie Hartz-IV-Empfänger mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen.
Die staatlichen Finanzhilfen orientieren sich von Beginn an nicht an dem, was die Menschen brauchen. Die Tafeln, die mit der günstigen Abgabe von „unverkäuflichen“ Lebensmitteln hier einsprangen, erhalten zum einen weniger Spenden, kämpfen mit höheren Betriebskosten für Strom und Benzin. Zum anderen ist aber die Zahl der Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, erheblich gestiegen. Wir haben es mit einer wachsenden Armut zu tun, die auch auf Menschen der Mittelschicht übergreift.
Die Witwe tut etwas nach ökonomischen Maßstäben Unvernünftiges – und das unter den Augen Jesu, der im Übrigen nicht mit ihr direkt in Kontakt tritt. Er sitzt neben dem Opferkasten und hindert sie nicht daran, den gesamten Inhalt ihrer Geldbörse in den Opferkasten zu leeren. Den Jüngern gegenüber macht er sie sogar zum Vorbild. Für die Witwe scheint es keine andere Möglichkeit zu geben, ihre Dankbarkeit für Gottes Nähe und Begleitung in ihrem Leben zu zeigen. Zugleich muss ihr Vertrauen zu Gott grenzenlos sein, dass sie schon über die Runden kommen, nicht verhungern wird.
Kleine Renten, Hartz IV reichen nicht aus, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben – nicht für gesunde Ernährung, nicht mal für den Kinobesuch. Die Geldbörse am Sonntag in den Kollektenkorb zu leeren, so wie die Witwe es getan hat, ist unvernünftig – wahrscheinlich heute noch unvernünftiger als zur Zeit Jesu.
Und dennoch: die Witwe provoziert uns dazu, die Welt eben auch anders wahrzunehmen, in unseren Augen Unmögliches für möglich zu halten. Haben wir die Hoffnung aufgegeben, dass die Welt besser werden könnte, die Güter unserer Erde gerechter verteilt, kein Mensch mehr hungern, an Unterernährung sterben muss? Wir leben in einer Zeit, in der uns der Glaube an die Verheißungen Gottes verloren zu gehen droht.
Indem die Witwe ihre letzten Groschen in den Opferstock legt, ermutigt, ja mahnt sie uns, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass Gottes Wollen für unsere Welt, Nächstenliebe, Menschenliebe überhaupt, sich eines Tages durchsetzen werden.
Kirchenrätin Susanne Kahl-Passoth, Pfarrerin im Ruhestand, Berlin
Christus und die Ehebrecherin, Gemälde von Giovanni Francesco Barbieri, besser bekannt als Guercino, um 1621 (Dulwich Picture Gallery).
Foto: unbekannt, PD, gemeinfrei, wikimedia commons

zu gleich, auch mit Geld kann man Gutes tun.
Foto: pixabay
Der Zauberpfennig
Predigttext zum 14. August 2022,
9. Sonntag nach Trinitatis:
Matthäus 25,14-30
Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! … Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.
Matthäus 25,21+29
Wer möchte nicht gerne Erfolg haben?! Aber welches ist der richtige Weg dahin? Jesus sagt in seinem Gleichnis „Von den anvertrauten Talenten“ (Matthäus 25,14–30): Jedem Menschen hat Gott Gaben gegeben, Talente geschenkt. Es kommt nur darauf an, sie zu entdecken und verantwortlich mit ihnen umzugehen.
Ein einfacher Müllmann erhält das Bundesverdienstkreuz dafür, dass er Jahrzehnte lang zerbrochene und in den Müll geworfene Spielsachen aussortiert und abends liebevoll instandgesetzt hat, um sie dann an bedürftige Kinder zu verschenken. Statt seinen dreckigen Berufsalltag zu beklagen und seine einsamen Abende bei Bier und Fernsehen zu verbringen, tut er das Schönste, wozu Menschen überhaupt auf der Welt sind: Er macht kaputte Dinge heil und Not leidenden Menschen eine Freude. Viele Menschen haben in unserem Land geflüchteten Erwachsenen und ihren Kindern aus der Ukraine geholfen. Dabei konnten sie die Erfahrung machen: Es ist nicht nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen.
„Love is something if you give it away, you end up having more. It’s just like a magic penny.“ Das heißt auf Deutsch: „Liebe ist etwas Eigenartiges: Wenn du sie weitergibst, hast du am Ende mehr davon. Liebe ist ein Zauberpfennig.“ Dieses Lied stammt aus einem Buch mit neuen Liedern (Martin Gotthard Schneider: Sieben Leben möchte ich haben. Verlag Ernst Kaufmann Lahr 1975). Im Evangelium zum heutigen Sonntag erzählt Jesus in seinem Gleichnis von einem solchen Zauberpfennig. Er lehrt seine Jünger, worauf es im Leben ankommt, wenn man es von seinem Ende her betrachtet und nicht von den aktuellen Bedürfnissen und Ideen des Menschen, die bekanntlich unbeständig sind wie der Wind.
Den drei Knechten wird ein sehr großes Vermögen anvertraut. Es sind 288 Kilogramm Silber; denn ein Zentner Silbermünzen wiegt etwa 36 Kilogramm. Was sollen die Knechte damit anfangen? Jesus erklärt in seinem Gleichnis, weshalb er sein Vermögen so ungleichmäßig verteilt: Er gibt jedem Knecht nach seinen Kräften und nach seiner Tüchtigkeit. Diese Art der Verteilung ist also nicht ungerecht, sondern fürsorglich; denn niemand soll über seine Gebühr belastet werden.
Man kann dies als Hinweis auf die vielerlei Gaben Gottes verstehen, die Menschen zuteil werden. Wir sind nicht alle gleich begabt und gleich belastbar. In unserer Zeit der Gleichmacherei fühlen sich mache überfordert und abgehängt. Ein Blick in die Natur zeigt uns, wie mannigfaltig die Tier- und Pflanzenwelt in ihren Erscheinungen und Kräften ist. Christlich gedacht heißt es, die Mannigfaltigkeit auch in der Menschenwelt anzuerkennen. Der Apostel Paulus sieht diese Mannigfaltigkeit auch in der Gemeinde Jesu Christi, wenn er den Römern schreibt: „Wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist“ (Römer 12,4–6).
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Entdecken Ihrer Gaben. Und Kraft und Freude bei allem Einsatz. Gott segne Sie!
Günter Dimmler, Pfarrer im Ruhestand in Königssee/Thüringen

Rembrandt van Rijn, 1659. Foto: wikipedia
Ein starkes Band
Predigttext zum 21. August 2022
10. Sonntag nach Trinitatis:
Matthäus 5,17–20
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich. Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.
Matthäus 5,17–20
Wer von den Jüngerinnen und Jüngern zu Jesus Zeiten glaubte, er werde das Gesetz oder die Propheten auflösen, hatte sich getäuscht. Jesus muss wohl solche Erwartungen gespürt haben, denn er stellt klar: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht.“ Jesus spricht hier zu seinem Jüngerkreis, aber es geht zunächst darum, wie er seine eigene Sendung versteht. Er ist Jude, beschnitten wie alle jüdische Knaben, dem Gesetz des Mose verpflichtet. Dessen Gültigkeit hebt er nicht auf. Im Gegenteil: Ganz klar widerspricht er dem Ansinnen, dass er gekommen sei, Tora und Propheten abzuschaffen.
Jesus kam, um das Gesetz zu erfüllen. Und während er predigte, zeigte er Juden und Nichtjuden, wie das geht. Er predigte die „bessere Gerechtigkeit“, Gnade vor Recht. Davon redete er selbst nicht nur. Er lebt die „bessere Gerechtigkeit“. Beim Essen mit den Zöllnern, beim Schutz der Ehebrecherin, bei der Samariterin am Brunnen und so viel mehr. Und er zeigte seinen Glaubensgeschwistern noch etwas: „Es gibt eine bessere Gerechtigkeit als jene derer, die schon unseren Respekt verdienen, weil sie leidenschaftlich Gott und sein Gebot höher achten als alles sonst – der
Pharisäer.“ So beschreibt es die Theologin Christina Maria Bammel 2013 in einer Predigt zu diesem Bibeltext. „Man kann die Gesetze kennen und dennoch die Gerechtigkeit verfehlen.“
Um das Verhältnis von Christen und Juden geht es an diesem 10. Sonntag nach Trinitatis, der deshalb auch Israelsonntag genannt wird. Antisemitismus und Hass haben viel Leid über jüdische Menschen gebracht. Dem hat die christliche Kirche nicht laut und vernehmlich und schützend widersprochen. Der Völkermord an den Jüdinnen und Juden lastet deshalb auch auf uns Christinnen und Christen. Es ist immer wieder ein Wunder, dass Juden und Christen dennoch heute miteinander danach fragen, wie wir unseren Glauben in den Herausforderungen dieser Zeit leben können.
Zunächst einmal dadurch, dass wir einander mit Achtung begegnen. Das Volk Israel bleibt Gottes erwähltes Volk. Durch den Juden Jesus sind Christen in diesen Bund mit hineingenommen. Gottes Gebot, wie es am Sinai offenbart wurde, ist für Juden und für Christen die Orientierung für das Leben. Ein starkes Band der Gemeinsamkeit! Einen neuen Bund, so weissagt es der Prophet Jeremia, will Gott in die Herzen schreiben, um sie zu verwandeln (31,31–34), sodass Menschen ihm freiwillig nachfolgen. Gott „schreibt“, indem er unser Innerstes berührt und verwandelt. Gott „schreibt“, indem er Jesus sendet und seinen Geist. Mit dieser Aussicht, lässt sich das Gebot Gottes getrost praktisch leben.
Sibylle Sterzik, Berlin
I

Kein Herausreden
Predigttext zum 28. August 2022
11. Sonntag nach Trinitatis:
2. Samuel 12,1-10.13-15a
Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter.
2. Samuel 12,5.6.9
„Was der Welt am meisten fehlt, sind Menschen, die sich mit den Nöten anderer beschäftigen“, schrieb der Theologe und Arzt im zentralafrikanischen Spital Lambarene, Albert Schweitzer (1875–1965).
Unrecht ist geschehen. Und großes Leid wurde verursacht. Als Außenstehender könnte man wegschauen. Wegschauen und schweigen, denn was geht es mich an? Nicht so dieser Eine. Schuld muss benannt werden! Erst recht, wenn sie unschuldiges Menschenleben kostete. Aber wie spricht man Schuld an? Wie bringt man einen anderen dazu, seine Schuld einzugestehen? Schuldzuweisungen sind leicht. Und bei anderen Schuld zu erkennen und als solche zu benennen, erst recht.
So kommt dieser Eine nicht mit Vorwürfen, sondern mit einer Geschichte. Geschichten berühren. Und sie helfen, die Perspektive zu wechseln. Der andere steigt mit ein, hört geduldig zu – und ist entsetzt von der Grausamkeit des Reichen. Und dann kommt der entscheidende Satz. Was ist, wenn die Schuld, die ich bei anderen so einfach und klar benennen konnte, plötzlich die eigene ist: „Du bist der Mann!“ Nicht irgendein anderer, ich selbst bin es. – „Herr, bin ich’s?“ werden die Jünger später fragen. In uns allen steckt das Potenzial zum Bösen.
Was auf die Schuldzuweisung folgt, ist eines wahren Königs würdig: kein Herausreden, keine Bagatellisierung, keine Selbstrechtfertigung. Dafür ein schlichtes Bekenntnis: Ja, ich bin schuldig geworden. Es war meine Entscheidung, durch die das Böse geschah. Die Sünde vor Gott realisiert sich auch in der Beziehung zu unseren Mitmenschen.
Mich berührt diese Perikope, gerade in diesen Tagen, in denen im Zuge des Krieges Frauen wieder schutzlos Gewalttaten ausgesetzt sind. Und auch ohne Krieg wissen wir vor allem seit der Kampagne „#metoo“, wie sehr sexuelle Übergriffe und Gewalt den weiblichen Alltag bestimmen können. Und die meisten von ihnen bleiben unentdeckt, aus Ohnmacht oder Angst. Auch Batseba kam während all der Ereignisse, die ihr Leben so hart veränderten, fast gar nicht zu Wort. Umso mehr braucht es Fürsprecher und Verteidiger. Menschen, die die Not eines anderen zur eigenen machen und aktiv werden, in Wort und Tat.
Davids Reaktion ist geradezu paradigmatisch. Und doch zeigt sie, dass selbst göttliche Vergebung das Vergangene nicht ungeschehen macht und auch die Folgen nicht verhindert. Sie hilft aber neu anzufangen. David bekommt bei dem, was er nun tut, Gott wieder in den Blick. Und er sieht jetzt auch Batseba und ihre Situation. Das Wort des HERRN zu achten, ist und bleibt unser aller Aufgabe, ob betroffen oder außenstehend.
Franziska Roeber, Pfarrerin im Evangelischen Kirchenkreis Lichtenberg-Oberspree