Predigten des Monats September 2020

Stiftskirche Reichenberg Brennender Dornbusch Frohe Botschaft September 2020

Gottes schafft Versöhnung. Foto: Wikimedia Commons

 

 

 

Zum Monatsspruch September 2020

Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat. 
2. Korinther 5, 19 (E) 

„Denn Gott versöhnte in Christus die Welt mit ihm selber …“, übersetzte Martin Luther. In Bibelübersetzung „Hoffnung für alle“ der Bibel- und Missionsgesellschaft Biblica heißt es: „Denn Gott hat durch Christus ­Frieden mit der Welt geschlossen.“ Diesen heilbringenden Aussagen wohnt ein Haupt­gedanke inne, den Paulus ausdrückt: Gott hat sich mit den Menschen über seinen Sohn Jesus ­versöhnt.

Warum Gott nicht ohne Jesus die Versöhnung mit seinen Geschöpfen selbst betrieben hat? Durch Gottes Allgewaltigkeit könnte er uns Menschen hier im Diesseits niemals von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Seine Lichtstrahlen würden wir nicht überleben. Erinnert sei daran, wie Gott unter anderem aus einem Dornbusch oder aus dem Himmel spricht, also selbst unsichtbar bleibt.

Gott reicht der Menschheit, die sich ihm oft widersetzt hat, aus Gnade durch Jesus die Hand. Deshalb musste Jesus, von Gottvater ins Leben gerufen, alles Menschliche erleiden. Dadurch kann er als Gottes Sohn für alle Menschen vor Gott eintreten. Nun ist es möglich, in dem Gottmenschen Jesus einen Fürsprecher bei Gottvater zu haben, der mich reinwäscht von Schuld und Vergebung schenkt.

So kann ich auf meinem Pilgerweg der Heiligung voranschreiten. Befreit durch diese Friedenstat der Versöhnung kann jeder Mensch unbeladen immer wieder neu mit Gott beginnen.

Karl-Heinz Eberhardt Schäfer, Leipzig

Neue Solidarität

Predigttext zum 6. September 2020 13. Sonntag nach Trinitatis:
Apostelgeschichte 6,1–7

In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst.

Apostelgeschichte 6,1–3

Die Tage der ersten Gemeinde sind nicht nur ­heile Welt. Es kommt zu einer ersten Zerreißprobe. Lukas schreibt ein Lehrstück davon, wie die Gemeinde damit umgeht.

Auslöser des Konfliktes ist Ungerechtigkeit beim Verteilen der Speisung für die Mittellosen. Zu diesen gehören vor allem die Witwen der griechischen Juden. Des Teils der Gemeinde also, der sich nicht aus Hebräern zusammensetzt. Sie haben eine andere Kultur, eine andere Sprache, sie sehen anders aus. Sie sind Fremde, das befremdet. Und auch wenn Judentum und Christentum lehren „Du sollst die Fremden nicht unterdrücken“ hat die Nächstenliebe an dieser Stelle offensichtlich ihre Grenze erreicht.

Der Hunger macht der ausländischen Minderheit der Gemeinde Mut. Sie murren mit Recht, so soll es unter Christen nicht zugehen! Das dringt bis an die Ohren des Zwölfer-Kreises, der Gemeindeleitung. Sie erkennen das Problem und handeln. Wie bei uns heute gehört das offene Ohr, die sensible Empathie, die Fähigkeit, Stimmungen und Strömungen in der Gemeinde wahrzunehmen zur ­unbedingten Qualifikation von Leitung. Die Zwölf wissen, dass in der Aufgabe der Verkündigung ihre Verantwortlichkeit liegt. Und sie sind weise genug zu erkennen, nur diese Aufgabe leisten zu können. Nicht alle können alles machen! Wenn diese Weisheit sich bis zu uns durchspräche, wie viel Menschen könnten aus selbstgemachtem Stress zu neuen Aufgaben befreit werden?

Die Apostel setzen nun Ämterteilung gegen Ämterhäufung. Sie entwickeln die Idee, die Armenspeisung durch besonders dafür beauftragte Menschen organisieren zu lassen. Die ersten gemeindlichen Berufsspezifikationen entstehen. Neben das Amt des Verkündigers tritt das Amt des Diakons. Unter deren Verantwortung wird die gemeindliche Solidarität neu ins Leben gesetzt.

Die Zwölf setzen ihre Idee von der Ämterteilung aber nicht mit ihrer Autorität durch. Vielmehr stellen sie sich der ganzen Gemeinde und deren Abstimmung. Erst nachdem alle Ja zu der Idee sagen, wird sie umgesetzt. Die Suche und Wahl der Diakonie geschieht dann konsequenter Weise auch in einem demokratischen Verfahren. Vor der ganzen Gemeinde werden sie unter Gebet und Handauflegung in ihre neue Funktion eingeführt. Zur demokratischen Entscheidung der Gemeinde tritt der Zuspruch des Segens und die Bitte um Gelingen an Gott dazu.

Und weil Gott seinen Segen gibt, wächst die Gemeinde jeden Tag und das Wort Gottes breitet sich aus. So wird der Segen Gottes auch über unserer Existenz als solidarische Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern Jesu Christi zu stehen kommen. Darum sollten wir von diesem kleinen Lehrstück über die Armenpflege in ­Jerusalem reichlich lernen.

Thilo Haak, Pfarrer der Ostergemeinde, Berlin-Wedding

Arme unterstützen. Foto: Berliner Tafel/Dietmar Gust Frohe Botschaft September 2020

Arme unterstützen.
Foto: Berliner Tafel/Dietmar Gust

 

Zachäus Niels Larsen Stevns
Zachäus auf dem Baum schaut sich Jesus an. Foto: Niels Larsen Stevns/Wikimedia

Komm herunter!

Predigttext zum 13. September 2020 14. Sonntag nach Trinitatis:
Lukas 19,1–10

Und Zachäus stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen; Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.                  Lukas 19,4+5

Ob sich die Geschichte vom Baumkletterer Zachäus so abgespielt hat? Möglich. Oder hat sich der Schriftsteller Lukas diese Geschichte ausgedacht? Einer ist neugierig auf Jesus. Hat das jemand, der heute diese Geschichte liest oder erzählt bekommt, schon mal erlebt, dass einer oder eine auf Jesus neugierig gewesen ist?

Ich kann mich nicht erinnern, das in meinen Gemeinden erlebt zu haben. Ja, auf Kirche war man neugierig. Vor großen Veranstaltungen wie auf einem Kirchentag oder im Alltagserleben zu DDR-Zeiten habe ich erlebt, dass man auf Kirche oder auf einen Pfarrer oder einer Pfarrerin in der Gemeinde, beim Bürgermeister, in der Schule, bei Behörden neugierig gewesen ist. Aber dass jemand auf einen Baum geklettert ist, das wird nur von Zachäus erzählt. Er war klein. Er wollte Jesus sehen. Er wollte ihn kennenlernen. Aber die Menge am Straßenrand versperrte ihm die Sicht. Er wusste wohl auch, dass er bei der Menge keine guten Karten hatte. Er verfügte wohl als Zöllner über ärgerliche Machtbefugnisse, privat wollte man mit ihm nichts zu tun haben. Und so ­kletterte er auf einen Baum. Seine Neugierde war nicht, wie dieser Jesus wohl aussehen wird.

Nein, er hatte davon gehört, dass Jesus helfen kann, wo Menschen mit ihrem Leben nicht mehr klar kommen. Obwohl er als Zollbeamter über einen komfortablen Arbeitsplatz verfügte, war ihm bewusst, dass seine Mitbürger in ihm einen Ausbeuter sahen. Das muss ihn doch sehr bedrückt haben.

Ja, so ist das: Nicht nur „die Armen“ haben Probleme, denen geholfen werden muss. Die Kirche ist auch heute wirklich engagiert, armen Menschen vor Ort und weltweit zu helfen. Für die Kirche, für die christliche Gemeinde wird mit Hinweis auf Jesus viel erwartet – und das ist in Ordnung.

Lukas hat uns aber eine Geschichte überliefert, die im Umkreis „der Reichen“, der unsympathischen Zeitgenossen, von Ausbeutern und trickreichen Ichmenschen angesiedelt ist. Ja, was ist mit den „Reichen“ jenseits der „Armen“ in jeder Hautfarbe, weiß, schwarz, gelb und gemischt, mit ausreichender Bildung, mit Titeln und gesellschaftlicher Achtung und Sicherheit? Was ist es mit uns, denen es eigentlich ganz gut geht, die hier und da auch schlaflose Nächte haben? Die darum wissen oder ahnen, was sie quält, was sie verdrängen und woran sie doch erinnert werden, was aufgearbeitet werden müsste?

Und dann geschieht etwas Unvorhergesehenes: Als Jesus den Mann im Baum sah, rief er ihn an: „Zachäus, schnell! Komm herunter! Ich möchte heute in deinem Haus bei dir sein.“

Am Ende der Geschichte heißt es: „Die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“ Auf diesen Jesus kann man auch heute neugierig sein.

Es muss ja nicht ein Baum sein. Es kann auch eine Kirche sein oder ein Christenmensch, die oder der sich mit Jesus im Herzen um Menschen kümmert, um die sich sonst keiner kümmert. „Komm herunter! Ich will bei dir sein!“ – das ist das Evangelium, die frohe Botschaft!

Joachim Koppehl, Superintendent in Ruhe, Berlin

 

Regenbogen Zeichen der Gnade Frohe Botschaft Juli 2020

Ein Regenbogen – Zeichen des Bundes.
Foto: pixabay

 

 

 

Katechetisches Meisterwerk

Predigttext zum 20. September 2020 15. Sonntag nach Trinitatis:
1. Mose 2,4b–9(10–14)15(18–25)

Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den 0dem des Lebens in ­seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen 0sten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. Und Gott der Herr ließ einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen … und er nahm eine seiner Rippen … und baute ein Weib aus der Rippe … und brachte sie zu ihm.

1. Mose 2,1.7.8.15.21f

Der erste Schöpfungsbericht (1. Mose, 1–2,4a) zeigt eine Gottes-Idee von einer Reinheit und Erhabenheit, wie wir sie einem Philosophen oder Theologen zuschreiben möchten. Gott braucht nur zu gebieten, und es wird: Es werde Licht! Und es ward Licht! Davon ist hier, im zweiten Bericht,  nichts zu finden. Um so menschlicher wird hier von Gott gesprochen, wobei sich der Erzähler bewusst ist, dass er in Gleichnissen redet. „Alles ist so gewesen, nichts war genauso“, so beschriebe es Volker Schlöndorf einmal.

Wie ein Töpfer auf seiner Drehscheibe formt Gott den Leib des Menschen. Wie ein Glasbläser haucht er ihm den Lebensodem ein, wörtlich den „Schnauf“. Wie ein Gärtner (Vergleiche das Bild von Emil Nolde „Der große Gärtner“) legt Gott den Paradiesgarten an („gegen 0sten“!). Manche Gemeinde rief in diesem Jahr zum Gärtnern (und Wässern) auf, um die Kirche und auf dem Friedhof. Die Zusammenarbeit tat auch der Seele gut.

Wie ein Chirurg schläfert Gott den Mann ein (immer daran denken: Es ist ein Gleichnis: „wie ein“) entnimmt ihm eine Rippe und baut daraus wie ein Künstler die Frau. Er führt sie wie ein Brautführer dem Mann zu. Der Gedanke schwingt mit, der Mann habe auch so der Rippen noch genug! Plastischer, realistischer und handgreiflicher könnte die Erschaffung des ersten Menschenpaares nicht geschildert werden. Hier liegt ein katechetisches Meisterwerk vor (Theodor Schwegler). So redet ein Katechet oder ein Missionar. Oder ein Liebender. Ich erinnere mich, wie ein Bräutigam ausrief: „Endlich habe ich eine Frau gefunden, die meinem Herzen nahe ist!“ Ist das naiv? Ja, lebten sie vorher einsam, nun zweisam.

Die Frau ihrerseits steht nach dem Plan Gottes an der Seite des Mannes, weder über ihm wie eine Herrin, noch unter ihm wie eine Sklavin. Sie sind Liebende. „Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung. Es ist, was es ist, sagt die Liebe“ (Erich Fried). Er ist (hebräisch) der „isch“, sie die „ischa“. Sie sind eine Einheit in aller Verschiedenheit. Welche wunderbare Motivation sind die Gleichnisse zweiten Schöpfungsberichts für Religionslehrer, Schülerinnen und alle, die wieder jung werden möchten.

Eckart Wragge, Pfarrer im Ruhestand, Berlin

 

 

Das Leben bewahren. Frohe Botschaft September 2020Foto: pixabaySiege über den Tod

Predigttext zum 27. September 2020 16. Sonntag nach Trinitatis:
2. Timotheus 1,7–10

Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.  2. Timotheus 1,7+10

Tausende junger Menschen demonstrierten voriges Jahr gegen die Umweltzerstörung und ihre Folgen. Heute ist es still geworden um die „Fridays for Future“-Bewegung, die Angst vor dem Corona-Virus hält uns weltweit in Atem. Gerade zur Osterzeit, dem Fest der Auferstehung, sahen wir die Bilder unzähliger Särge in Bergamo und anderswo und sorgten uns um unser Gesundheitssystem, wie viele Opfer wir zu beklagen haben werden, ob wir selbst dazugehören würden. Hatte der Tod gewonnen? Hat der Sieg Christi über ihn keine praktische Bedeutung?

Auf den ersten Blick mag es so scheinen. Nicht nur die Pandemie deutet darauf hin, auch Mord und Totschlag, Krieg und Vertreibung, menschenverachtender Rassismus. Der ist auch bei uns schmerzlicher Alltag für viele ohne helle Haut, blaue Augen und blonde Haare. Schon kleine ­Kinder müssen Bösartiges erleben, gedankenlose Bemerkungen und schamlose Gesten oder gar Übergriffe.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“, wurde der junge Timotheus er­mutigt. Für viele im Lockdown klang das in der Osterzeit hochaktuell. Die alten Worte halfen auch uns mit dem Stillstand zurechtzukommen, um die Pandemie zu beherrschen. Das österliche Hauptthema, Jesu Sieg über den Tod, geriet darüber in den Hintergrund. Darum freue ich mich, dass es nun – fast ein halbes Jahr später – noch einmal betont wird.

Vielleicht können wir vom Ostersieg über den Tod Spuren in unserem Leben heute finden? Eine solche Spur ist für mich der pausen- und selbst­lose Einsatz von Ärzt*innen und Pflegekräften. Wir sollten diese Held*innen des Alltags nicht vergessen. Eine andere: Als eine Bekannte vor einem Jahr ihren Mann durch plötzlichen Herzstillstand verlor, stand ihr Leben auf einmal still; dennoch verschickte sie einen liebevollen Weihnachtsbrief mit Dank, Hoffnung und Zuversicht. Ihr Glaube hatte ihr geholfen.

Österliches sah ich auch im Handeln unserer Regierenden: einmütig, mutig und die Chance der Krise für Veränderungen nutzend, dabei Schwache nicht vergessend. Ob das tatsächlich gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt.

Einer Brustkrebspatientin half der allgemeine Lockdown in ihrem ganz persönlichen Leben. „Mein altes, unbeschwertes Leben werde ich nicht ­wiederbekommen“, schreibt sie. „Dafür ist zu viel passiert. Es wird ein anderes Leben, vielleicht sogar ein besseres, sagt meine Psycho-Onkologin. Das macht mich neugierig.“ Das alles sind für mich Oster-Erfahrungen, ­Siege über den Tod.

Welche haben Sie?

Sabine Ost, Pfarrerin im Ruhestand, Berlin

 

Sommerlich gedeckter Tisch Frohe Botschaft August 2020
Einladend gedeckter Tisch. Foto: pexels