Predigten des Monats Oktober 2020

Spree und Berliner Dom im Morgengrauen
Suchet der Stadt Bestes, in die ihr hineingestellt seid. Foto: pixabay

 

 

 

 

 

 

 

 


Zum Monatsspruch Oktober 2020

Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl.           Jeremia 29,7 (L)

Am Beginn dieses Monats begehen wir den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Wer in der DDR lebte, hat sich manchmal gefragt: Wie lange soll das noch gehen? Das fragte sich sicher auch die im 6. Jahrhundert vor Christus ins babylonische Exil verschleppte israelische Oberschicht. Da kommt Post aus der Heimat, ein Brief aus Jerusalem vom Propheten Jeremia. Was steht drin? Sein Rat im Auftrag Gottes: Richtet euch in der Fremde ein. Es wird länger dauern – 70 Jahre.

Mit der DDR war es Gott sei Dank nach 40 Jahren zu Ende.

Was sollte dieser unverständliche Aufruf: Setzt euch für das Wohlergehen der Einwohner in der fremden Stadt im feindlichen Land ein. Sie sollen für ihre Feinde, die an Götzen glauben, beten? Und wie sollen sie mit ihrem Schicksal fertig werden? Sie gerieten nicht zufällig nach Babylon, sondern ihr Gott hat sie dorthin bringen lassen. „Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“

Was bedeuten die 2600 Jahre alten Worte Jeremias für uns heute? Gott sei Dank leben wir seit 30 Jahren in Freiheit. Aber es gibt viel zu tun zum Wohle der Menschen in unserem Land. Wie verhalten wir uns gegenüber Andersdenkenden, Andersglaubenden, Flüchtlingen? Was können wir in der Corona-Pandemie tun? Eine der neuen Glocken der ­Dresdner Frauenkirche und die Reinholdusglocke in Dortmund tragen die Inschrift: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn.“ Alle Kirchenglocken rufen uns zum Gebet. Beten wir für unsere Stadt und die Menschen, die hier leben. Gebet und Tat kann uns helfen, dass es uns und anderen gutgeht, dass wir Zukunft und Hoffnung haben.

Pfarrer Günter Dimmler, Königsee/Thüringen

 

Erntedankgaben am Altarr
Die Gaben dankbar zum Altar gebracht. Foto: pixabay

Wandlungswunder

Predigttext zum 4. Oktober 2020 Erntedank/17. Sonntag nach ­Trinitatis: Markus 8,1–9

Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war und sie nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk, denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe, würden sie auf dem Wege verschmachten. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er nahm die sieben Brote, dankte, brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie sie austeilten.                                                                             Markus 8,1.2.5.6

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein …“ – dieser Satz ist von ihm. Doch Jesus weiß auch: „Der Mensch lebt nicht vom Wort allein …“ 4000 Menschen haben an seinen Lippen gehangen, von seinen Gedanken gekostet, ganze drei Tage lang. Viele haben eine lange Reise auf sich genommen, nur um ihn zu hören und zu sehen. An Proviant hat da offenbar keiner gedacht. Das Herz ist gesättigt, aber der Magen bleibt knurrend leer. Jetzt die Heimreise antreten wäre lebensgefährlich, das ist Jesus schmerzlich bewusst. „Mich jammert das Volk“, lässt die Luther-Übersetzung ihn sagen. Im griechischen Original zieht es Jesus vor Mitleid förmlich die Eingeweide zusammen. Doch der Schmerz wandelt sich in Aktivität, das Wunder nimmt seinen Lauf: Aus Wenigem wird Überfluss, sieben Brote und einige Fische, hastig zusammengekratzt, machen 4000 Menschen satt und selbst die Reste füllen noch sieben Körbe. Wo Jesus ist, da verströmt sich Fülle, da werden Menschen an Leib und Seele genährt. Doch vielleicht hat die Erzählung noch eine andere Pointe?

Als Jesus seinen Jüngern das Problem der hungernden Menge schildert, reagieren sie eher passiv: „Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde, dass wir sie sättigen?“ Wir und sie – die Jünger unterscheiden zwischen sich und die anderen. Auf die Idee, etwas Eigenes einzusetzen, ihren Proviant zu teilen, bringt sie erst Jesus. Nachdem Jesus das Dankgebet über Brot und Fischen spricht, gibt er sie seinen Jüngern verwandelt zurück. Sie sind keine Waren der Selbstsorge mehr, nun sind sie Gaben der Fürsorge. Jesus durchbricht die Logik der Vereinzelung mit der Logik der Verbundenheit.

Vielleicht ereignet sich hier das eigentliche Wunder? Keiner ist ein Solitär, wir Menschen sind angewiesen auf einander. Mancher, der in der

U-Bahn partout keine Maske tragen will, sorglos feiern geht oder auf Anti-Corona-Demos herumbrüllt, wie sehr er persönlich unterdrückt wird, hat das noch nicht begriffen. Bis in die Spätantike haben Christinnen und Christen von Zuhause Lebensmittel zur Abendmahlsfeier mitgebracht und sie zu Brot und Wein auf den Altar gelegt, damit Jesu Dankgebet (Eucharistia) über ihnen gesprochen wird und sie verteilt werden. Wie schon einst: Niemand sollte hungrig nach Hause gehen. Das Wandlungswunder wiederholte sich: Aus ­Vereinzelten wurden Verbundene.

Bei uns hat dieser Brauch nur zu Erntedank überlebt: Einmal im Jahr legen wir auf den Altar, was sonst aus dem Supermarkt nur auf unserem Tisch landet. Keine Ernte-Folklore, sondern die Erinnerung: „Der Mensch lebt nicht für sich allein …“ Ja, auch dieser Satz könnte von Jesus stammen.

Florian Kunz, Pfarrer der Berliner ­Kirchengemeinde Zum Heilsbronnen und Stellvertretender Superintendent des Kirchenkreises Berlin-Tempelhof-Schöneberg

 

Jugendliche halten sich alle an einem Stern fest
Konfirmation: Das Vermächtnis ihrer Taufe wird erneuert und will gelebt werden. Foto: pexels

Ganz nah

Predigttext zum 11. Oktober 2020 18. Sonntag nach Trinitatis:
5. Mose 30,11–14

(Denn) Es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.    5. Mose 30,14

Welche biblischen Texte fallen Ihnen ein und sind wichtig für Sie? Die Antwort wird verschieden sein unter uns. Aber ich bin mir sicher, viele

w­erden auch die Zehn Gebote nennen, sie gehören dazu. Die Zehn Gebote sind wichtig, sie regeln ein gutes Zusammenleben von uns Menschen. Wir brauchen Regeln oder Gesetze. Wir brauchen eine Ordnung gerade in Krisenzeiten und danach im Übergang zu neuer Zeit.

Für das Volk Israel erhielt Mose die Zehn Gebote. Aber eben auch für die neue Zeit im gelobten Land wurden sie wichtig und immer wieder studiert und neu ausgelegt. Manche fassen die Gebote zusammen im Doppelgebot der Liebe: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst und nehmen dies als wichtigstes fürs Leben.

Andere suchen für sich einen besonderen Bibelvers, der sie im Leben begleiten möge. Das geht ganz verschieden zu: Vor ihrer Konfirmation nahm sich unsere Tochter viel Zeit, las in der Bibel und schrieb Verse auf, die sie ansprachen. Dann strich sie nach und nach zusammen, bis dieser eine Bibelvers 5. Mose 30,14 zurückblieb. Er wurde ihr Konfirmationsspruch.

Ein wichtiger Vers aus Moses Abschiedsrede im Übergang zum gelobten Land. Ein Vermächtnis, das haften geblieben ist bis heute. Gottes Wort ist nahe, ganz nahe, im Mund und im Herzen. Gottes Wort ist tief in uns und bleibt nicht nur Wort, es wird nicht nur das richtige gute Gefühl, es bildet den Verstand, es wird getan. Aus dem Hören und Reden, aus dem Beherzigen und Verstehen wird Tun: das Tun, wie Gott selbst tut.

Welch eine wunderbare Zusammenfassung für eine Schwelle im Leben wie die Konfirmation. Der Glaube wird erwachsen mit gemeinsamem Lernen und Leben des Glaubens im Konfirmandenunterricht. Jugendliche lassen sich mit dem Segen Gottes beschenken, Zuspruch und Anspruch zugleich. Das Vermächtnis ihrer Taufe wird erneuert und will gelebt werden. In Jesus Christus ist Gottes Wort Mensch geworden und Gottes Gebot erfüllt. Nicht im Himmel und nicht in weiter ­Ferne, sondern ganz nah.

Das Evangelium will immer wieder neu erzählt und ausgelegt werden, auch in diesem Herbst, wo viele Jugendliche ihre Konfirmation mit Corona­-Regeln feiern. Abstand halten hat nichts mit Abgrenzen zu tun. Corona lässt uns von Groß­events Abstand gewinnen und neu entdecken, ­welche Kraft im Kleinen in der Familie, in Freundschaften oder in der Nachbarschaft stecken kann. Das Evangelium Christi ermuntert vertrauensvoll, die Nähe Gottes zu erleben im Mund und im ­Herzen und im Tun, gerade auch in der Zuwendung zu denen, die zu oft im Abseits sind. Möge ­diese wichtig sein für uns alle.

Sabine Benndorf, Prädikantin in der Region Templin

 

Eine Schneiderin arbeitet an einem Kleid auf einer Schaufensterpuppe
Christen legen mit der Taufe neue Kleider an. Foto: pexels

Komm in Gottes Umkleidekabine

Predigttext zum 18. Oktober 2020 19. Sonntag nach Trinitatis:
Epheser 4,22–32

Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus. Epheser 4,23-25.32

Sie kennen das Wort „Kleider machen Leute“. Ein Sinnspruch, der eine tiefe Erkenntnis in sich trägt: Was wir an uns tragen spiegelt nach innen hinein und verändert unser Wesen. Oder auch umgekehrt: Was wir innen fühlen, kann sich sehr deutlich in der Kleidung zum Ausdruck bringen. Aus der Umkleidekabine können wir wie neu geboren kommen!

Wenn wir es wagen mal ein paar alte Klamotten abzulegen und uns ganz neu einzukleiden, dann macht das etwas mit uns. Wir werden gewissermaßen wie neu. Außen und Innen hat bei uns Menschen eine Menge miteinander zu tun. Diese Erkenntnis muss auch den Schreiber des Epheserbriefes bewegt haben, als er diesen Text aufschrieb.

Im Bildwort werden Christinnen und Christen aufgefordert, sich neu einzukleiden. Die Christusnachfolge ist gewandeltes Leben, sie bedeutet eine Veränderung im Äußeren und vor allem im Inneren. Wer das neue Kleid des Glaubens trägt, zeigt sich der Welt auf eine neue Art und Weise. Diese neue Bekleidung ist mehr als eine Jacke oder ein Hemd. Mit den Worten des Epheserbriefes ist es gleichsam ein „Neuer Mensch“, den wir anziehen.

Ich höre das klare und einfache Bildwort, doch ist es wirklich so einfach dem Leben im Glauben eine Gestalt zu geben? So einfach wie das Anziehen von neuen Kleidungsstücken? Alle Erfahrung lehrt mich, dass es leider nicht so einfach ist!

Und doch kann es gehen: Als Christ kann ich ein anderer, ein besserer Mensch sein. Ich lüge nicht mehr, sondern sage den Menschen die Wahrheit. Mutig und tapfer versuche ich mich nicht mehr mit Unwahrheiten bequem durchs Leben zu schummeln. Vielmehr bin ich redlich und aufrecht, auch wenn es unbequem und anstrengend sein kann.

Wenn mir auch Zorn erlaubt ist, so lasse ich über diesem nicht den Tag vergehen. Das heißt nichts anderes als dass ich nicht den Zorn über mich herrschen lasse, sondern dass ich mich beherrsche und den Zorn wieder ablege.

Ich bekomme auch ein ganz anderes Verhältnis zum Besitz. Es geht mir nicht mehr darum alles haben zu können, es gegebenenfalls durch Betrug oder Diebstahl zu meinem Eigentum zu machen. Christliches Leben misst sich nicht daran, was einer besitzt, sondern daran, ob einer in der Lage ist abzugeben und zu teilen.

So will das neue christliche Kleid aus uns neue Leute machen, weil eben Kleider Leute machen. Gott hat für jede und jeden von uns solch ein Kleid im Schrank. Alle Kleidergrößen finden sich darin. Lassen Sie sich einladen, mal in seine Umkleidekabine zu kommen und das neue Kleid nicht nur zum besonderen Anlass, sondern alle Tage zu ­tragen.

Thilo Haak, Pfarrer der Ostergemeinde Berlin-Wedding

 

 

Aehren wiegen sich im Wind
Ähren sammeln gegen den Hunger.
Foto: pixabay

Dem Guten folgen

Predigttext zum 25. Oktober 2020
20. Sonntag nach Trinitatis:
Markus 2,23–28

Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester und gab sie auch denen, die bei ihm waren? Markus 2,25+26

Die Geschichte vom Ährenraufen las sich für mich immer so: Jeder einzelne möge mit seinem Urteil eine bestehende Regel an die jeweilige Situation anpassen. Seit Corona glaube ich das nicht mehr. Ich erlebe, wie Menschen sich schnell an neue gesellschaftliche Konventionen gewöhnt haben und mit deren Einhaltung trotz persön­licher Einschränkungen einen übergeordneten ­Nutzen verbinden. Wer hätte gedacht, dass jemand sich einmal respektlos behandelt fühlen würde, weil ein anderer sich weigert, eine Maske aufzusetzen? Wir lernen gerade, dass gute Regeln die Freiheit einer Gesellschaft ermöglichen. Und das war wohl das, worauf die Pharisäer hingewiesen haben.

Die Jünger*innen Jesu klauen hungrig auf einem Feld das, was sie unmittelbar satt macht. Der Hunger steht für sie ausnahmsweise über dem Gebot, das ihnen heilig ist. Nicht ihr Mundraub erregt Aufsehen, sondern dass sie an einem arbeitsfreien Tag ernten. Sie wissen, dass die Vorwürfe berechtigt sind. Mit ihrer Kritik wollen die Pharisäer erreichen, dass das freie Zusammenleben vieler an einem Ort weiterhin möglich bleibt. Auch sie finden, dass das Gesetz für den Menschen geschaffen worden ist. Umgekehrt will Jesus ihnen inhaltlich nicht widersprechen.

Meine Auslegung, die sich allein auf die individuellen Bedürfnisse bezieht, würden weder die Pharisäer noch Jesus gutheißen. Jesus nutzt vielmehr die Gelegenheit, um sich als religiöse Autorität bekannt zu machen. Er vergleicht sich durch sein Argument öffentlich mit David. Jesus selbst verkörpert das Gesetz, das seit jeher das mensch­liche Zusammenleben gefördert hat. Das wurde auch so verstanden. Der anschließende Tötungs­beschluss der Pharisäer erfolgt aufgrund der vermeintlichen Anmaßung.

Jemand machte kürzlich den Vorschlag, den Sonntag für eine Zeit als Arbeitstag zuzulassen oder die Sonntage für eine Weile verkaufsoffen zu halten, um während des Lockdowns entstandene Einbußen auszugleichen und die geforderten Abstände besser einhalten zu können. Damit wurde zu recht eine Diskussion ausgelöst, inwiefern Wirtschaft und Gesundheit über dem Zusammensein in der Familie und unter Freund*innen an gemeinsamen arbeitsfreien Tagen und der Möglichkeit zum Gottesdienstbesuch stehen. Auch wenn es richtig sein kann, sich als Individuum zurückzunehmen, ist es wichtig, als Gesellschaft über die Verhältnismäßigkeit von Gesetzen zu diskutieren. Denn neue Bestimmungen sind ja nicht automatisch gut für die Menschen.

Dr. Stefanie Sippel, Pfarrerin, Alt-Pankow

 

Sommerlich gedeckter Tisch Frohe Botschaft August 2020
Einladend gedeckter Tisch. Foto: pexels